Hi Leute,
Ich mache mir ein wenig Sorgen über gewisse Qualitätsansprüche in der Technoszene. Ich weiß, an manchen Ecken ist schon länger der Wurm drinnen, aber ich versuche hier mal meine Gedanken etwas aufzudröseln und gewisse Gegensätze aufzuzeigen, die mir so durch den Kopf gegangen sind.
Techno ist Kulturgut
Die Technoszene hatte sich jahrelang darum bemüht, als Kulturgut wahrgenommen zu werden. Viele Künstler haben seit den 90s mit ihren Produktionen, Liveauftritten, DJ-Performances und der Gestaltung von Artworks, Magazinen, Mode oder Visuals dazu beigetragen und damit sogar neue Kunstformen erschaffen. Der Zuspruch zum Kulturgut ist daher durchaus gegeben und zu begrüßen.
Aber wir wissen ja, dass die Technoszene mittlerweile auch eine durchorganisierte Kommerzialisierungs-Maschine sein kann. In den 90s war es z.B. im Pop-Business normal, Boybands extra random zusammenzustellen und massiv zu vermarkten. Eine ähnliche Mechanik existiert mittlerweile auch in der Technoszene. Agenturen versuchen oft mit allen Mitteln, Trendsetter zu kreieren.
Marketing ist alles?
Schon vor über 10 Jahren wurde eine ukrainische Dejane, durch extreme penetrantes Namedropping, in den sozialen Netzwerken bekannt gemacht. Diese Masche funktionierte irgendwann richtig gut, dass immer mehr Veranstalter:innen sie zu buchen anfingen. Am Ende war sie teils so überbucht, dass 2-3 Gigs an einem Wochenende im Rhein-Main-Gebiet nicht ungewöhnlich waren. Gute Agenturen achten jedoch normalerweise darauf, dass genau so etwas nicht passiert. Vielleicht war die Agentur ja damals noch jung und unerfahren, der Trick bei der Vermarktung funktionierte jedenfalls für damalige Verhältnisse phänomenal gut.
Dieses Beispiel zeigt gut, dass Erfolg durch Marketing kreiert werden kann. Das Können eines Acts kann dabei sogar erst einmal eine sekundäre Rolle spielen. Heute gibt es eine Vielzahl an Mechanismen, die von Agenturen genutzt werden, um bestimmte Acts aufzuwerten und größer zu machen, als deren musikalisches Talent eigentlich ist. Dabei spielen auch Themen, wie gekaufte Follower und Plays, sowie Ghostproducing eine Rolle. Es existieren mittlerweile Plattformen, auf denen man Tracks von anonymen Producern kauft, um diesen dann unter eigenen Namen zu veröffentlicht.
Natürlich gibts auch weiterhin Acts, die in den letzten Jahren durch eine gewisse Qualität und der eigenen Präsenz, beim Publikum viel Aufmerksamkeit erhalten haben. Aber die Anzahl an hochstilisieren Acts, hat in all den Jahren schon merklich zugenommen.
Selbst bei kleineren oder Nachwuchs Acts, kann man sich nie sicher sein, ob die Releases echt sind oder an den Followerzahlen nicht doch gedreht wurde. Bei meinen Recherchen sind mir jedenfalls der/die ein oder andere Verdächtige untergekommen. Gerade das Mittel der Followerzahlen, um Relevanz vorzugaukeln, ist ein allgemeines Problem durch Social-Media, weil diesen Zahlen immer noch einen zu hohen Stellenwert beigemessen wird. Bedauerlicherweise.
Vieles ist daher heute leider öfters mehr Schein als Sein, auch im Techno. In der Social-Media-Welt, ist es ja mittlerweile „normal“ z.B. großzügige Lebensstile und übertriebe Beautyness zu präsentieren, die eigentlich so nicht existent sind.
Das Trash-TV des Internets
Zudem bekommen immer öfters kontroverse Personen auf z.B. auf TikTok und Instagram schnell enorme Reichweite. Wer heute als Teenager aufwächst, wird mit dem täglichen Wahnsinn auf diesen Plattformen groß. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die ersten kontroversen „Influencer:innen“ in der Technoszene auftauchen.
Es erinnert mich dabei zum Teil ein wenig an Trash-TV. Da werden kontroverse Personen in kontroverse Sendungen gepackt, um für viel Response zu sorgen. Diese Personen wissen dies natürlich und verhalten sich daher entsprechend, um zu polarisieren und damit Aufmerksamkeit zu generieren. Trash-TV ist nicht viel anders als, was manche Influencer:innen auf Social Media treiben. Kontrovers, polarisierend, nur um Klicks zu generieren. Denn mit den genügend Klicks lässt sich auch gutes Geld verdienen.
Die Jugend ist oft noch nicht so weit, diese Mechaniken wirklich zu hinterfragen. Schnell erhalten daher solche Personen eine riesige Aufmerksamkeit. Und wenn so jemand auf einmal in der Technobubble eintaucht, dann folgt natürlich auch die zahlreiche Followerschaft.
Anspruch vs Zeitgeist?
Daher bin ich mir unsicher, ob dieser Weg beschritten werden sollte, solche Leute auch noch zu pushen. Denn am Ende besteht das Publikum dann zum Großteil aus Menschen, die genauso viel mit „echtem Technofeeling“ zu tun haben, wie eben jene kontroversen Influencer:innen am Mixer,
Wir haben doch jahrelang versucht, die Handys vom Dancefloor zu verbannen. Doch jetzt Leute fördern, welche ohne dem gar nicht existieren könnten und davon leben, dass deren Gefolgschaft es ebenso praktiziert? Wenn es dabei wenigstens gefühlsmäßig um die Sache, um Techno gehen würde. Doch meist ist alles nur auf das Funktionieren in Social-Media ausgelegt. In meinen Augen bleibt da die Qualität auf verschiedenen Ebenen auf der Stecke.
Das Techno-Bizz mit seinem ständigen Drang nach größer, höher, weiter, hat uns nun schon wahrlich genug Probleme und negative Entwicklungen bereitet. Wir haben uns von den ehemaligen Werten der Anfangsbewegung in den 90s mittlerweile so weit weg entwickelt, dass es nur eine Frage der Zeit war, wann ein neuer Gipfel an Absurdität erklommen wird. Es geht mir dabei nicht, um eine verklärte Nostalgie, aber ein wenig mehr Bewusstsein zur Essenz und etwas mehr eigenen Anspruch und Realness, könnte echt mal wieder guttun.
Wahrscheinlich muss man sich einfach damit abfinden, dass nach 30 Jahren Techno, der ursprüngliche Gedanke, seinen Platz jetzt weit unten im Keller hat. Techno ist nicht das erste Genre, welches einst mit einem gewissen Anspruch von Spirit aufblühte, um dann mit der Zeit immer weiter sich davon zu entfernen. Für jemanden, der dies noch kennt und auch heute noch mit Leidenschaft zur Musik dabei ist, den schmerzt diese Entwicklung natürlich. Aber scheinbar ist bei dem stetigen Wandel, der schnelllebige Zeit und dem Drang nach immer mehr, nun mal keinen Platz für Gefühlsduseleien.
Wie auch immer. Mein eigener Qualitätsanspruch verweigert sich jedenfalls all dem beschriebenen. Vielleicht bin ich ja auch nur engstirnig – who knows. Aber hey… Trash-TV schau ich ja auch nicht. 🙂
Was denkt Ihr bei dem Thema? Schreibt es gerne in die Kommentare.
Euer Grille
2 Kommentare
Ich finde deinen Text sehr gut, ehrlich und zu treffend.
Ich bin jetzt auch seit 20 Jahren dabei und so manche Entwicklungen bereiten mir echt Kopfschmerzen.
Das schlimmste für mich, dass Klicks zu viel Macht haben.
Da werden Likes, über die Musik gestellt. Hast du keine Likes, wirst du erst gar nicht wahr genommen, was echt traurig ist, auch für mich.
Ich musste lange überlegen, wie ich damit umgehen soll, ich lege noch nicht so lange auf.
Trotzdem glaube ich an meine Musik und an mich und werde mich nicht auf Teufel komm raus vermarkten, um an Likes und somit auch an mehr Gigs zu kommen. Ich glaube an ehrlichen Wachstum und dieser brauch nun mal seine Zeit. Ich wünsche mur einfach das wieder mehr auf die Musik geschaut wird, den das ist was bleibt und können auch noch einige, ob klein oder groß. Ansonsten hätte ich den Zirkus schon längst verlassen
Lieber Grille,
ich bin keiner von den Machern, aber gehöre mit Freude zu denen die Techno durch Tanzen leben. Dein Text trifft es völlig und auch für den Tanzwütigen geht ganz viel verloren hier.. Und das was ich zuletzt nach Bewusst längerer Pause sehen musst, hat mich geschockt.
Und ja nach 30 Jahren Techno schmerzt es einfach nur diese Entwicklung zu sehen. Ich hoffe dennoch sehr das es Neu gedacht wird, denn die Music bleibt, auch wenn ich der Party fern bleibe.